Bilderbücher auf Seiten der Mädchen, auch für Jungen zu empfehlen
Bilderbücher auf Seiten der Mädchen, auch für Jungen zu empfehlen
so der Titel einer Ausstellung, die im Zuge des Aufbaus eines „Baby-Hauses” (heute Krippe) entstanden ist. Das war in den frühen 1980er Jahren extrem schwierig, Pionierarbeit. Berufstätige Mütter von Kleinkindern passten nicht ins Weltbild, auch nicht in das des Hamburger SPD-Senats. Aber wir haben´s trotzdem geschafft.
Gleichberechtigung, so dachten wir, fängt schon bei den ganz Kleinen an. In der Hektik des Alltags setzen sich eingefahrene Klischees oft ungewollt durch. Aber bei den Bilderbüchern kann man in Ruhe überlegen, sofern man bei gestressten Eltern von Kleinkindern von Ruhe reden kann. Um ihnen die zeitraubende Suche nach geschlechtergerechten Bilderbüchern zu erleichtern, ist der Grundstock dieser Sammlung entstanden. In den frühen 1980er Jahren hab ich die Ausstellung auch regelmäßig auf der Hamburger Frauenwoche gezeigt. Dort konnten sich interessierte Frauen Infos holen über die wenigen geschlechtergerechten Bilderbücher, die es damals gab (ich denke, heute ist es nicht viel besser), und sie konnten entscheiden, ob sie die vielen seriös gestalteten aber diskriminierenden und klischeehaften Bilderbücher ihren Kindern noch zumuten wollten. (Zu sehen war die Ausstellung später an vielen Orten zwischen Oslo, Bologna und Luxemburg)
Nach Suchen in den zahlreichen Hamburger (Kinder-)Buchhandlungen, Öffentlichen Bücherhallen, Buchmessen in Frankfurt und Bologna (Kinderbuchmesse) hatte ich zunächst nicht mehr als gut 70 aus ca. 3.000 deutschsprachigen Bilderbuch-Titeln gefunden und dabei nach und nach eine Kriterienliste entwickelt. Hier schon mal die Kriterienliste als PDF-Datei.
In manchen Buchläden durfte ich länger suchen und mich vor dem Regal einrichten. So hatten KundInnen nicht selten den Eindruck, ich gehörte zum Personal, nannten mir das Alter des zu beschenkenden Kindes und fragten mich nach einer Empfehlung. Wenn ich dann z.B. “Na klar Lotta kann Radfahren” aus dem Regal zog, eins der wenigen Bilderbücher mit aktiver weiblicher Hauptrolle, bekam ich häufig den Satz zu hören „Ich hab aber ´n Jungen”. Huch?! Aber muss man über diesen Satz empört sein?
Es lohnt sich, diesen Satz ernst zu nehmen. Welchen Hintergrund gibt es dafür? Fürchten die Eltern, ihr Junge könnte Schaden nehmen und die Entwicklung seines Selbstbewusstseins würde behindert durch ein Bilderbuch mit einer aktiven, willensstarken weiblichen Hauptrolle? Oder mehrere von dieser Sorte? Gilt es Jungen vor der – literarischen – Anteilnahme an den Interessen eines Mädchens zu bewahren?
Wie sonst lässt sich dieser Einwand erklären? Eltern von Mädchen sind da erheblich toleranter. Warum eigentlich? Sollten sie sich nicht wenigstens eine dicke Scheibe von den besorgten Jungen-Eltern abschneiden?
Es ist klar, wer Frauenhäuser in der Perspektive überflüssig machen will, um nur ein Beispiel zu nennen, muss die Mädchen von Anfang an stärken. Das geschiecc2c58ht noch lange nicht genug, und mit meiner Sammlung geschlechtergerechter Bilderbücher möchte ich einen Beitrag dazu leisten. Ich möchte aber genauso einen Beitrag dazu leisten, dass die kleinen Jungen reichlich Gelegenheit bekommen, mit den Abenteuern weiblicher literarischer Figuren mitzufiebern. Im Sinne eines gleichberechtigten Miteinanders geht es darum, dass die kleinen Jungen auch Anteil nehmen an den Erlebnissen der kleinen Mädchen oder großer weiblicher Vorbilder. Es geht um eine gerecht verteilte Aufmerksamkeit und Wertschätzung für Mädchen und Jungen, auch über die frühe Kinderliteratur. Jungen und Mädchen, die als Kinder gelernt haben, sich gegenseitig gleichermaßen zu akzeptieren und wertzuschätzen, dürfte das auch im Erwachsenenalter möglich sein.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter als Ehemann einer Professorin ist nicht nur deswegen selten, weil es recht wenig Professorinnen gibt. Das Statusgefälle von Mann zu Frau ist gesellschaftlich akzeptiert; das Gefälle in die andere Richtung, von Frau zu Mann ist deutlich weniger selbstverständlich, noch.
Die Liste enthält auch Bilderbücher mit männlichen Hauptrollen, und zwar solchen, die bisher untypisch sind: z.B. fürsorglich, ängstlich, auf Hilfe angewiesen, daneben auch solche, die mit ihrer traditionellen Männlichkeit scheitern.
Diese Bilderbücher sind wiederum für beide Geschlechter wichtig. Mädchen erleben anhand literarischer Figuren, dass Jungen und Männer auch fürsorglich, ängstlich und hilfsbedürftig sein können. Und für Jungen ist dieses Rollenangebot ebenfalls wichtig, z.T. sogar eine Entlastung, wie mir ein Freund erzählte, als wir über “Hänschen im Blaubeerenwald” sprachen. Glücklicherweise ist dieses Buch immer noch ein Klassiker.
„Ein Mädchen ist fast so gut wie ein Junge“. Kann es sein, dass viele Menschen in Deutschland diesen Satz verinnerlicht haben und im Alltag danach leben? Nur, das Grundgesetz dieser Republik sagt etwas anderes: Artikel 3 Satz 2 lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.” Auf Initiative der einstigen Hamburger Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit und anderer MitstreiterInnen kam 1994 folgender Satz hinzu: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.”
Wie sieht der Bilderbuchbestand einer Kita aus, der diesem Auftrag entspricht?
Ist doch klar: schon mal halbe halbe bei den Hauptrollen.
Um die Suche zu erleichtern, hier also die Liste geschlechtergerechter Bilderbücher.
Da ich bis in die erste Hälfte der 1990er Jahre gesucht habe, enthält sie mehr Titel als die erste Liste von 1983. Ein Teil davon wird heute nicht mehr aufgelegt. Aber fast alle sind noch antiquarisch zu bekommen; es lohnt sich (man muss nicht unbedingt über Amazon bestellen; es gibt auch andere Anbieter). Und es dürfte ja auch noch der eine oder andere Titel der später erschienen Bilderbücher den Kriterien für ein geschlechtergerechtes Bilderbuch entsprechen.
Hier erst mal die Liste meiner Ausstellung/Sammlung:
Liste geschlechtergerechter Bilderbücher (PDF)Die Bilderbücher dieser Liste habe ich der Anna-Warburg-Schule in Hamburg Niendorf geschenkt. Dort in der Bibliothek befinden sich auch mehrere Exemplare der oben abgebildeten lila Broschüre mit Kurzbeschreibungen der bis 1983 gefundenen Titel und mit einem einleitenden Aufsatz. Darin geht es genauer um oft bis heute bekannte Negativ-Beispiele. Sozusagen vom großen Rest der mehr oder weniger deutlich klischeehaften Bilderbücher handelt mein Sachbuch „Vom pfiffigen Peter und der faden Anna, ….“
Es hat – leider – nicht nur historischen Wert. Antiquarisch ist es noch leicht zu bekommen, locker auch unter Vermeidung von Amazon.
Unter dem Dach der Anna-Warburg-Schule befindet sich eine der Hamburger Fachschulen für Sozialpädagogik. Dort werden ErzieherInnen ausgebildet. In der Bibliothek der Anna-Warburg-Schule können die Bilderbücher samt Broschüre und Sachbuch eingesehen werden.
Hamburg im April 2022